2010 kündigten die Grünen die Koalition mit der CDU im Hamburger Senat auf, woraufhin der damalige Bürgermeister Christopher Ahlhaus die weit fortgeschrittenen Stadtbahn-Planungen Hamburgs beendete. Bei der im weiteren Verlauf 2011 folgenden Neuwahl gewann die SPD mit Olaf Scholz als Bürgermeisterkandidat die absolute Mehrheit. Statt der Stadtbahn sollte das – mittlerweile ist das Zitat wohl schon bekannter als das Bussystem – „modernste Bussystem Europas“ kurz- bis mittelfristig den Hamburger Nahverkehr auf Vordermann bringen. Mehr Busspuren, konsequente Ampelvorrangschaltungen, bessere Haltestellen – mit diesem Anspruch sollte der Bus Fahrzeit einsparen und zusätzliche Kapazität generieren. Schnell wurden Nägel mit Köpfen gemacht. Noch im Dezember 2011 wurde das Busbeschleunigungsprogramm für knapp 260 Millionen Euro beschlossen. Schon Ende 2012 wurde mit den ersten Bauarbeiten auf der Metrobuslinie 5 begonnen, die erste Ampelvorrangschaltung ging dann im Sommer 2013 an der Kreuzung vor der Staatsbibliothek in Betrieb. Bis 2020 sollten die wichtigsten Metrobuslinien beschleunigt sein.

Im Interview mit www.NahverkehrHamburg.de durfte ich vor einigen Monaten über die Probleme und Chancen des Busverkehrs in Hamburg sprechen. Dabei wurde ich eingangs gefragt:

Nahverkehr Hamburg: War das Busbeschleunigungsprogramm, das die Hamburger SPD im Jahr 2011 als Alternative zu einer Straßenbahn aufgelegt hatte, ein Flop?
Witte: Gegenfrage: Haben sich die Fahrzeiten auf den beschleunigten Linien wirklich verkürzt und ist das Angebot spürbar besser geworden? Ich kann die Frage nicht belastbar beantworten, da mir die tatsächlichen Fahrzeiten der Busse nicht vorliegen.

Im Interview konnte ich die Frage nicht belastbar beantworten. Die Frage hat mich allerdings weiter beschäftigt. Da ich das ganze hier nur nebenbei mache, hat es nun eine Weile gedauert. Ich möchte hier zumindest eine Annäherung an die Beantwortung der Frage liefern. Leider nicht mit den tatsächlichen Fahrzeiten der Busse, aber zumindest mit einem Blick in die Fahrpläne von vor der Busbeschleunigung im Vergleich zu heute.

Beiträge zum Thema Bus zum Weiterlesen:
Welches Potential der Bus hat und warum Hamburg echte Busbeschleunigung machen sollte: Ein BRT-System für Hamburg.
Interview mit Nahverkehr Hamburg zum Busverkehr in Hamburg und seinen Potentialen und Problemen: „Rote Ampeln verschärfen den Personalmangel“ (Paywall).
Interview mit dem Westwind über die Verkehrswende und die Rolle des Busses im Hamburger Westen: „Nicht auf Kulturkampf einlassen.“

Ziele und Linien des Busbeschleunigungsprogramms

Fokus des Programms waren die stark frequentierten Metrobuslinien. In den zwei Ausbauzielen A und B sollten insgesamt 12 Metrobuslinien im gesamten Streckenverlauf besser im Straßenraum priorisiert werden.

Das Ausbauprogramm A, welches bis 2019 abgeschlossen sein sollte, umfasste dabei folgende Linien: 2, 3, 5, 6, 7, 20 und 25, sowie einige Einzelmaßnahmen für die Linien 4 und 21 am Eidelstedter Platz.

Das Ausbauprogramm B, welches ab 2019 starten sollte, umfasste die Linien 12, 14, 15, 23 und 26.

Als wichtigste Maßnahmen zur Erreichung der Beschleunigung wurden drei Verbesserungen genannt:

  • der Bau zusätzlicher Busspuren zum Umfahren von Staus
  • die konsequente Bevorrechtigung der Busse an den Ampelanlagen, um Wartezeiten an roten Ampeln zu vermeiden
  • der Rückbau von Busbuchten zugunsten von Kaphaltestellen, bei denen die Busse direkt am Fahrbahnrand halten

Wie ich im Interview mit Nahverkehr Hamburg bereits ausführte, wurden diese drei Maßnahmen leider alle nur sehr halbherzig bis gar nicht umgesetzt. Neue Busspuren kamen so gut wie gar keine hinzu, die Ampelvorrangschaltungen bevorrechtigen den Bus meist nicht konsequent. Und viele Busbuchten wurden zwar abgerissen, aber in nahezu gleicher Form und Lage neu gebaut, statt wie geplant Kaphaltstellen am Fahrbahnrand herzurichten. Wie ich im Interview erläutere, bleibt dadurch natürlich auch der beschleunigende Effekt nur sehr gering.

Die Ziele, die man sich damals gesetzt hat, waren aber gar nicht so unambitioniert. So hieß es beispielsweise in einer schriftlichen kleinen Anfrage aus dem Jahr 2012 zum Thema (Drucksache 20/5195):

„Zudem erklärte der Verkehrssenator […], dass bei den konkreten Umsetzungen für die Linie 5 13 Minuten und für die Linie 3 zehn Minuten Fahrzeit eingespart werden können. […] Von den Verkehrsunternehmen werden Reisezeiteinsparungen durch Busbeschleunigungsmaßnahmen von 15 bis 20 Prozent bis 2016 für die Linien des Ausbauziels A, bis 2020 für die Linien des Ausbausziels B angestrebt.“

Fahrzeitvergleich der Linien – wenig Verbesserung, viel Verschlechterung

Einen ganz genauen Vergleich bekommen natürlich nur die betroffenen Verkehrsbetriebe Hochbahn und VHH hin, da ihnen die tatsächlichen Ist-Fahrzeiten aus den Bordcomputern der Busse vorliegen. Was ich hier getan habe, ist ein altes Fahrplanbuch aus dem Fahrplanjahr 2013 aufzutreiben, in dem der Zustand von vor der Busbeschleunigung abgebildet ist. Die dort hinterlegten Fahrzeiten habe ich dann mit den Fahrplanzeiten der Linien heute verglichen.

Daher direkt als Vorwort eine starke Einschränkung dieses Vergleichs: Der Abgleich betrifft nur die Soll-Fahrzeit aus dem Fahrplan. Die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre ging allerdings in die Richtung, dass die Buslinien immer höhere Verspätungen entwickelt haben. Tendenziell liegen die Fahrzeiten aus dem Fahrplan von 2013 daher näher an der Realität, als die Fahrzeiten aus dem Fahrplan 2024. Eigentlich müsste man vermutlich bei den heutigen Fahrplanzeiten noch von etwas längeren Fahrzeiten ausgehen.

Schauen wir uns nun den Vergleich der Fahrplanzeiten aller Linien des Ausbausziels A und der 15 und 23 aus dem Ausbauziel B an:

Die Grafik zeigt die Fahrzeitentwicklung von Hamburger Buslinien des Busbeschleunigungsprogramms im Vergleich vom Fahrplanjahr 2013 vor der Busbeschleunigung und 2024 (oder dem letzten sinnvoll möglichen Vergleichsjahr). Linie 2 17% Linie 3 Trabrennbahn - Rathausmarkt 0% Linie 3 Trabrennbahn - Kraftwerk Tiefstack 3% Linie 5 -8% Linie 5 Niendorf Markt - ZOB -9% Linie 6 11% Linie 6 Borgweg-Hbf/Kirchenallee 5% Linie 7 -12% Linie 20 -3% Linie 25 -4% Linie 25 Altona - Burgstraße -6% Linie 15 0% Linie 23 6% Linie 23 Barmbek - Billstedt 7%
Fünf von neun untersuchten Linien sind nicht schneller als vor zehn Jahren, teils sogar erheblich langsamer geworden. Die Linien 20 und 25 sind nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich schneller als 2013. Nur bei den Linien 5 und 7 liegen die Zeiteinsparungen auf ganzer Linie bei über 5 Prozent – aber immer noch weit entfernt von den angepeilten 15 bis 20 Prozent Zeiteinsparung. Bedeutende Kurzläuferrelationen der einzelnen Buslinien sind gesondert ausgewiesen, die genauen Linienabschnitte und Daten der Abschnitte sind in der untenstehenden Tabelle zu finden.
ⓘ Hinweise zur Datenermittlung und -aufbereitung
Die Vergleichstabelle mit Durchschnittsgeschwindigkeiten und Fahrzeiten im Vergleich von 2013 vor der Busbeschleunigung zu heute (klicken um Kommentarspalte mit anzuzeigen).

Die Daten habe ich mit großer Sorgfalt aus den Fahrplantabellen gezogen. Ich habe mich um Korrektheit bemüht und denke, es sollten keine Fehler enthalten sein, zumindest keine groben. Eine Garantie auf Korrektheit kann ich aber nicht geben.

Der Effekt des Busbeschleunigungsprogramms ist sehr begrenzt bis nicht vorhanden

Ein Blick in die Vergleichsdaten zeigt: Spürbare Verbesserungen hat das Busbeschleunigungsprogramm nur auf der Linie 5 und der Linie 7 gebracht.

Die Linie 5 nimmt dabei eine Sonderrolle ein, da hier auf weiten Teilen der Linie bereits Bussonderfahrstreifen existierten. Die Installation von Ampelvorrangschaltungen brachte dadurch einen hohen Effekt, denn ohne Störeinflüsse des übrigen Kfz-Verkehrs können die Ankunftszeiten der Busse an den Ampelanlagen vergleichsweise verlässlich in den Ampelschaltungen hinterlegt werden. Auf den anderen Linien ist der Effekt der Vorrangschaltungen begrenzter, da die Fahrzeuge oft ohne Busspur im Rückstau des übrigen Kfz-Verkehrs vor den Ampeln hängen bleiben und eine verlässliche Bevorrechtigung dadurch nur sehr schwer realisierbar ist. Trotz der auf der Linie 5 vorhandenen Busspuren sind die hier erreichten Fahrzeitreduzierungen mit 3 bis 5 Minuten deutlich geringer, als die ursprünglich angestrebten 13 Minuten.

Die Linie 7 hingegen hat zwar prozentual eine deutliche Fahrzeitverkürzung, in absoluten Zahlen liegen sie aber auch nur bei 2 bis 3 Minuten je nach betrachteter Fahrtrichtung.

Die 20 und 25 sind im niedrigen einstelligen Prozentbereich beschleunigt worden. Angesichts der Linienlänge und den geringen Einsparungen ist hier diskutabel, ob das eine nennenswerte Angebotsverbesserung darstellt oder auf betrieblicher Seite Umläufe (und somit Fahrzeuge und Fahrpersonal) eingespart werden konnten. Ich kenne die Fahr- und Dienstpläne nicht, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass trotz Busbeschleunigungsprogramm noch immer die selbe Anzahl an Fahrzeugen und Fahrpersonal für die Linien nötig ist wie vorher.

Alle anderen betrachteten Linien des Busbeschleunigungsprogramms sind entweder nicht schneller geworden, oder sogar (teils deutlich) langsamer als vor dem Busbeschleunigungsprogramm. Weit entfernt von den damals angepeilten 15-20 Prozent Fahrzeitreduktionen.

Schaut man sich die Tabelle mal genauer an, wird noch etwas deutlich, das ich eingangs bereits ansprach: Die Soll-Fahrzeiten aus dem Fahrplan sind meiner Ansicht nach mit Vorsicht zu genießen. So ist beispielsweise von Außen betrachtet nicht nachvollziehbar, warum die Linie 25 in Richtung Bf. Altona nach Sachsenstraße im Vergleich 2013 zu 2024 noch exakt dieselben Fahrzeiten aufweist, in die Gegenrichtung von der Sachsenstraße nach Bf. Altona aber 6 Minuten schneller geworden ist.

Grundsätzlich wird deutlich, dass die „beschleunigten Linien“ teilweise nach wie vor sehr niedrige Durchschnittsgeschwindigkeiten aufweisen. Die 6, 15, 20, 23 und 25 kommen nach wie vor nur auf Werte von 12,5 bis 15 km/h. Wohlgemerkt auf Basis der Soll-Fahrplanzeit, nicht unter Betrachtung der tatsächlichen Fahrzeiten im realen Betrieb inklusive auftretender Verspätungen.

Im Wesentlichen erreichen nur die 2, 3, 5 und 7 Durchschnittsgeschwindigkeiten von über 15 km/h. Wobei auch hier unklar bleibt, wie aussagekräftig die Soll-Fahrplanzeiten tatsächlich sind. Es scheint auf den ersten Blick unplausibel, wie die Linien 2 und 3 mit ihrem Linienweg durch die engen Gassen Ottensens (2) bzw. die staugeplagten inneren Bereiche der Stresemannstraße, Bahrenfelder Chaussee, Luruper Chaussee usw. (2 und 3) ohne Bussonderfahrstreifen auf Durchschnittsgeschwindigkeiten kommen, die nahezu gleichwertig zur überwiegend auf eigenen Busspuren verkehrenden Linie 5 sind. Möglicherweise deckt der Fahrplan dieser Linien schlicht nicht die realen Verhältnisse ab. Hier wäre ein Abgleich der tatsächlichen Ist-Fahrzeiten inklusive der tatsächlich im realen Betrieb vorhandenen Verspätungen vermutlich aufschlussreicher, als der reine Blick in den Fahrplan.

Die grundsätzliche Entwicklung im Busverkehr geht ohnehin in eine schlechte Richtung, in den vergangenen 20 Jahren ist die Durchschnittsgeschwindigkeit über alle Linien deutlich gesunken. Man hätte vermuten können, dass zumindest die wenigen Linien des Busbeschleunigungsprogramms von dieser Entwicklung nicht betroffen wären. Das ist aber überwiegend nicht der Fall. Bis auf wenige Ausnahmen hat das Busbeschleunigungsprogramm keine relevante Beschleunigung der Linien gebracht. Die dreistelligen Millionenkosten haben der ÖPNV-Kundschaft also kaum spürbare Angebotsverbesserungen gebracht und brachten wohl auch auf Seiten der Verkehrsbetriebe vermutlich keinen relevanten Effekt zur Einsparung von Fahrpersonal und Fahrzeugen.

Kommen wir zurück zur eingangs zitierten Frage aus dem Interview mit Nahverkehr Hamburg.

Nahverkehr Hamburg: War das Busbeschleunigungsprogramm, das die Hamburger SPD im Jahr 2011 als Alternative zu einer Straßenbahn aufgelegt hatte, ein Flop?

Würde ich die Frage heute nochmal gestellt bekommen, würde ich mich mit der Beantwortung sicher etwas deutlich positionieren: Das Busbeschleunigungsprogramm brachte zwar auf wenigen Linien ein paar eingesparte Minuten. Im Verhältnis zu den dreistelligen Millionenkosten und dem ursprünglich formulierten Anspruch an die Ergebnisse komme ich insgesamt aber zum Schluss: Ja, man muss es wohl als Flop bezeichnen. Die formulierten Ziele wurden nicht annähernd erreicht.

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